Virus der Wahrheit

    Was wir von ihm lernen können

    (Bild: zVg)

    Wir leben in einer historischen Zeit. Das Coronavirus hat die ganze Welt voll im Griff und er macht uns Angst, denn der Ausgang ist ungewiss. Noch vor drei Monaten freuten wir uns auf das Jahr 2020, haben gute Vorsätze und Pläne für private, geschäftliche und familiäre Taten geschmiedet. Ein neues Jahr ist schliesslich immer wieder eine Chance und eine Herausforderung. Die Herausforderung, welcher die Menschheit heute jedoch gegenübersteht, hätten wir uns in den wildesten Träumen nicht ausgemalt. Nur ein verrückter Hollywood-Produzent hätte ein solches Drehbuch schreiben können. Der Kampf gegen das Virus ist ein Marathon (Zitat BR Berset), die Corona-Pandemie ein globaler Notfall.

    Was in einem offenen Tiermarkt in Wuhan (China) seinen Anfang nahm, hat sich zu einer weltweiten Pandemie ausgebreitet. Allen Verschwörungstheorien zum Trotz: COVID-19 ist dort entstanden und hat sich in Windeseile über die ganze Welt verbreitet. Das Ende dieser Pandemie ist noch nicht absehbar, aber es wurde und wird enorm viel getan, um sie einzudämmen und auszurotten. Rund 30 Pharma- und Biotechfirmen arbeiten daran, einen geeigneten Impfstoff zu finden, und ich bin zuversichtlich, dass dies in absehbarer Zeit geschieht. Nachdem entschieden wurde, das Zulassungsverfahren massiv zu verkürzen, werden wir uns hoffentlich bis zum Ende des Jahres gegen diesen heimtückischen Virus schützen können, bevor die zweite Welle auf uns zukommt.

    Nicht nur der entwickelte Impfstoff ist ein positives Zeichen. In erster Linie ist unser schweizerisches Gesundheitssystem hervorzuheben. Wie sich unsere Ärzte und das Pflegefachpersonal im Kampf gegen das Virus für uns einsetzten, ist unglaublich und heldenhaft. Wir können in der Schweiz stolz sein auf diese Leute und froh, dass wir in einem Land wohnen, dessen Organisation funktioniert – in jeder Beziehung. Schliesslich möchte ich hier auch unsere Landesregierung loben. Was der Bundesrat bisher geleistet hat, ist grossartig. Er hat damit seine Führungsqualitäten demonstriert.

    Der Umgang miteinander nach Corona
    Ich möchte an dieser Stelle weitere positive Seiten, welche das Virus in vielerlei Hinsicht ausgelöst hat und die auf den ersten Blick vielleicht nicht sichtbar sind, hervorheben.

    Die Erfahrungen, welche die Menschen weltweit jetzt durchmachen, sind historisch und mit ganz grossen geschichtlichen Ereignissen vergleichbar. Wir werden daraus gesellschaftliche-, politische- und wirtschaftliche Veränderungen erleben, die struktureller Natur sein werden.

    Gesellschaftlich sehe ich eine Veränderung durch alle sozialen Schichten, die sich zuerst im Verhalten zwischen den Menschen manifestieren wird. Das «social distancing», welches wir jetzt leben müssen, wird sich in unserem Alltag etablieren. Der Mensch wird mehr auf seine Hygiene achten und damit auch weniger anfällig für Krankheiten. In unserer Schweizer Kultur küsst man sich dreimal, was ich schon immer anstrengend und eigentlich überflüssig fand. Dieses Ritual wird hoffentlich verschwinden und man wird sich in Zukunft vielleicht wie die Japaner begrüssen, nämlich durch eine kurze Verbeugung oder mit Handzeichen. Das heisst jedoch nicht, dass Sie sich nicht mehr umarmen dürfen, wenn Sie einen für Sie besonderen Menschen begrüssen.

    Aber nicht nur das, ich bin überzeugt, dass die Menschen höflicher, rücksichtsvoller und freundlicher im Umgang werden, so wie es jetzt schon viel mehr zu erleben ist. Man hat erkannt, dass es einen gemeinsamen unsichtbaren Feind gibt, dem wir alle hilflos gegenüberstehen. Entsprechend steigt das Zusammengehörigkeitsgefühl und wir haben offenere Augen für unsere Mitmenschen und versuchen einander zu helfen. Diese Haltung, davon bin ich überzeugt, wird sich etablieren. Wir werden weniger anonym durch die Welt laufen. Vielleicht werden die Jungen, welche bisher hauptsächlich in den digitalen Medien lebten, und sich über diese definierten, wieder anders mit uns kommunizieren. Meine Tochter schreibt sogar wieder Briefe!

    Ich bin ebenfalls davon überzeugt, dass wir gesellschaftlich gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, und wir die kleinen (und grossen) Dinge viel mehr schätzen werden. Die soziale Interaktion wird intensiver gelebt werden: ein gutes Essen, ein tolles Konzert, ein interessantes Nachtessen, ein gutes Gespräch. Unsere Konsumgesellschaft wird ein «Reset» erleben. Dazu wird auch gehören, dass das Home- oder Online-Shopping zur Normalität wird. Schon heute sieht man in dieser Branche einen Boom, der sich jedoch noch verstärken wird, da Online-Shopping bequemer und oft auch günstiger ist. Natürlich werden die Läden immer noch besucht werden, aber in erster Linie für verderbliche Waren, obwohl auch heute schon Plattformen wie «Le Shop», «coop@home» und ähnliche gerade für ältere Menschen eine tolle Alternative sind.

    Auch die Essgewohnheiten werden sich ändern, man entfernt sich immer mehr von tierischen Nahrungsmitteln und isst mehr Gemüse und Früchte. Ein Hauptgrund dafür wird sein, dass viele der beim Menschen nachgewiesenen Viren von Tieren abstammen (es wurde mehrfach bestätigt, dass die Fledermaus der Ursprung von COVID-19 ist!). Abgesehen davon, dass eine mehrheitlich pflanzliche Ernährung gesünder ist, ist sie auch umweltfreundlicher. Ich möchte jedoch nicht den Fleischkonsum verdammen, denn ein gutes Stück Fleisch aus kontrollierbarem Ursprung sollte man durchaus geniessen können. Nur wird die Qualität in erster Linie kaufentscheidend sein. Dann muss, gerade in asiatischen Ländern, der Verkauf und Verzehr von exotischen Tieren (Schlangen, Schuppentieren, Fledermäusen, etc.) endgültig verboten werden.

    Die Politik nach Corona
    Die politischen Veränderungen werden wohl am schwierigsten zu bewerkstelligen sein. Ich bin nicht der Einzige, dessen Vertrauen in die Politik nicht besonders gross ist. Wie ich bereits erwähnt habe, nehme ich da unseren Bundesrat für einmal aus. Ich denke da vor allem an die Führungskräfte in anderen Ländern wie den USA. Mit einem solchen Präsidenten, noch immer grosse Zustimmung aus den Kreisen der Bevölkerung erhält, einer, der den Virus immer noch verhöhnt, und keine Zusammenarbeit mit anderen Nationen in dieser Krise anstrebt, wird ein politischer Wechsel kaum möglich sein. Er ist jedoch nicht der Einzige, denn in Brasilien, Mexiko oder Russland sieht es ähnlich aus. Im besten Fall werden die Corona-Krise die Wiederwahl von Donald Trump verhindern und hoffentlich mit Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris neue Hoffnungsträger ins Weisse Haus einziehen. Nur eine weltweite politische und koordinierte Zusammenarbeit auf höchster Ebene wird in Zukunft solche Pandemien verhindern oder wenigstens konsequenter bekämpfen können. Auch die EU hat sich in der jetzigen Lage nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Eine absolute Katastrophe wie von Brüssel aus agiert wurde – ohne Strategie, Dialog und Kooperation. Schliesslich hoffe ich, dass auch das Stimmvolk positive Lehren aus dieser Krise zieht und es wieder Politiker wählt, die über ihre vier Amtsjahre hinaussehen und verantwortungsbewusster in jeglicher Beziehung agieren.

    Die Gesellschaft nach Corona
    Lassen Sie mich zum Schluss auf die möglichen wirtschaftlichen Veränderungen kommen, die aus der Krise heraus entstanden sind, und für die Zukunft weitere Konsequenzen haben könnten. Es wurde rasch klar, dass wir es heute, im Gegensatz zu 2008, wo die Krise in erster Linie eine Krise des Finanzsystems war, mit einer Realwirtschafts-Krise zu tun haben. Sie berührt direkt die Unternehmen, sowohl KMUs als auch Multis. Damit trifft es die Arbeitnehmer und in letzter Konsequenz jeden. Zwei erste positive Aspekte bei der Reaktion auf diese Krise: Zuerst wurde die Umsetzung von «Business Continuity»-Plänen seit dem Ausbruch der Pandemie in ihrer Breite beispiellos und erfolgreich durchgeführt.

    Die Finanzsysteme und Institutionen funktionieren einwandfrei und ohne Unterbruch. Trotz Volatilität und ebensolchen Volumina an den Märkten haben sie auch trotz Homeoffice funktioniert. Ergo ist das Finanzsystem bedeutend robuster als vor der letzten Krise. Kapital- und Liquiditätspuffer wurden aufgebaut, ein Zeichen dafür, dass so manche unpopuläre Entscheidung der letzten Jahre (strengere Eigenmittelvorschriften für die Banken seit 2008) sinnvoll waren.

    Die Soforthilfe-Pakete sind überall gigantisch und in der Summe grösser als nach dem Zweiten Weltkrieg. In den USA wurden $ 2’000 Milliarden gesprochen, damit die Wirtschaft nicht abstürzt. Versuchen Sie sich diese Summe vorzustellen – das ist fast dreimal soviel wie das Bruttosozialprodukt der Schweiz pro Jahr. Auch die EU-Länder, die es sich leisten konnten, haben unglaubliche Summen locker gemacht. Zusätzlich haben die Zentralbanken (Fed, ECB) sehr gut agiert und die Zinsen, wo noch möglich, weiter gesenkt.

    In der Schweiz hat der Bundesrat ein Gesamtpaket von CHF 42 Milliarden gesprochen, was auch enorm ist und die Volkswirtschaft retten wird. Eventuell wird es noch mehr brauchen. Die Unterstützung für KMU überzeugt absolut in der Einfachheit des Dispositivs, welches umgesetzt wurde. Der Bund greift auf die rund 300 Banken im Land zurück, um den KMU unbürokratisch Kredite zu geben. Der Bund bürgt für die Kredite und die Banken beteiligen sich mit 15% ab einer bestimmten Summe. Sehr gut gemacht! Natürlich wird der wirtschaftliche Schaden uns über Jahre begleiten. Viele Firmen werden in Zukunft vorsichtiger planen und ihre Lieferketten überdenken. Denn klar ist: Wir sind in gewissen Industriezweigen viel zu stark von China abhängig. Eine geographische Diversifikation von Zulieferern drängt sich auf. Die produzierende Realwirtschaft, wie Bankhäuser nach der Finanzkrise, benötigen zusätzliche Sicherheitspolster, ob in Form von Waren oder von Geld.

    Diese Krise zeigt auf, dass die Globalisierung zwar nicht gescheitert ist, aber wir sorgfältiger sein müssen. Man muss und wird gewisse Tendenzen der Globalisierung, die nicht optimal für eine funktionierende Wirtschaft und für die Umwelt sind, überdenken müssen.

    Natürlich hätte diese Krise verhindert werden können, wie viele andere in der Vergangenheit auch. Doch vielleicht war diese nicht umsonst, denn meines Erachtens wird das Leben nach der Krise nicht wieder dasselbe sein wie vorher. Sie wird hoffentlich einen längerfristigen positiven Effekt haben, indem sich die Menschen ändern zum Wohle des Planeten Erde und seiner Bewohner. Der Preis dafür ist hoch. Leider geht er einher mit vielen Toten und Leid für unzählige Menschen. Schauen wir jedoch lieber auf ein halbvolles Glas als auf ein halbleeres. Ihnen Allen, viel Glück und Gesundheit in den kommenden Monaten.

    We shall Overcome!

    Eric G. Sarasin

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